Verabschiedung der Abiturientinnen und Abiturienten
am 29. Juni 2024

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,

Sie waren froh , Ihren lang aufgestauten, nennen wir es einmal „schulischen Unlustgefühlen“ legal nachgeben zu können, indem Sie zu einer ganz konkreten Abbruchaktion der Schule bei Ihrem Abimotto aufgerufen hatten. Dabei sollte sogar zuerst das Mittelhaus quasi als Symbol des EKG im Zentrum der Abrissaktivitäten stehen. Bagger und Raupe waren schon angetreten, um ihr Werk zu verrichten. Wir können die schweren Arbeitsgeräte auf dem Abilogo sehen. Als die Schulleitung von diesem geplanten Umsturzversuch erfuhr, wandte sie sich an den Schulträger mit der bangen Frage, ob er denn mit der Beseitigung des „Herzstückes“ von Kalkuhl einverstanden sei. Diese Frage wurde gemeinsam akademisch und pädagogisch durchleuchtet und man kam endlich zu dem Schluss, bei aller Liebe, aber es müsse doch nicht unbedingt das Mittelhaus sein. Denn immerhin , welche Signale würde das nach außen senden und sei es nur auf einem Abipulli dargestellt. Man vereinbarte also einen Gesprächstermin mit dem Abiturjahrgang, um eventuelle Kompromisslösungen zu finden. Natürlich hatte ich erwartet, dass man im Direktorenzimmer eine Gruppe kräftiger Abiracken treffen würde, die dem Stufenanliegen des Abrisses auch körperlich durch ihre gewaltige Statur Nachdruck verleihen würden. Um so mehr musste ich beim etwas verspäteten Eintritt in den Raum staunen, da dort wider Erwarten drei Abirackinnen saßen, die die schwere Bürde der Verhandlung wie sich zeigte höflich, selbstbewusst und zielgerichtet in Angriff nahmen. In diesem Augenblick dachte ich, Kalkuhls emanzipatorische pädagogische Arbeit schlägt sich hier nun am Ende der Schulzeit deutlich und überzeugend nieder.
Ein Kompromiss war bald gefunden, das Mittelhaus verschwand aus dem Abilogo,. Die Abrissmaschinen aber blieben stehen. Für die Baracken ?

Im Hintergrund, so glaube ich sowieso, hat eine in der Schülerschaft vermutete baldige Beseitigung der Baracken im Zusammenhang mit dem geplanten Schulneubau zu eben jenen „Abirackenvorstellungen“ Ihres Jahrgangs geführt. Wobei uns natürlich allen hier bewusst ist, es geht Ihnen ja eigentlich nur sinnbildlich um die Baracken, diese alten schulisch genutzten Räume haben sich offensichtlich überlebt, ebenso wie Ihre gymnasiale Schulzeit sich nach acht Jahren dem Ende zuneigte. Und diese gilt es nun mit aller Entschiedenheit zu beenden, “wir reisen endlich ab“, um sich voller Optimismus, Tatkraft und Mut ganz dem Neuen, einem individuell gewählten beruflichen Werdegang zu widmen.
Aber die Abrissbirne muss noch etwas ruhen. Denn es ist die tragische Ironie der Geschichte, dass Ihr Abiturjahrgang, ohne dass Sie das wussten zu einem Fixpunkt der Tradition Kalkuhls geworden ist, denn genau vor 100 Jahren also 1924 fand das erste Abitur hier statt.
Ernst-Kalkuhl gründete 1880 Schule und Internat als Realschule. Als er 1918 starb , konnte er nicht wissen, dass einmal das spätere Bonner Private Ernst-Kalkuhl-Gymnasium seinen Namen tragen würde. Sein Schwiegersohn Dr. Franz Heel, der anstelle seines im 1. Weltkrieg gefallenen Sohnes Karl Kalkuhl Leitung und Schulträgerschaft 1916 übernommen hatte, entwickelte die Schule bis 1924 weiter zur Oberrealschule, die damit gymnasialen Charakter erhielt und berechtigt war, selbständig ein überall anerkanntes Abitur durchzuführen. Später kam es in der Kultuspolitik dann auch namentlich zu einer Gleichstellung von Oberrealschule und Gymnasium.
Ihr Abiturjahrgang markiert also nicht nur den Zeitpunkt des ersten Abiturs hier im Haus, sondern auch diese maßgebliche Weiterentwicklung des „Instituts Kalkuhls“ hin zum modernen Ernst-Kalkuhl-Gymnasium, die damals 1924 begonnen wurde.

Aber liebe Abiturientinnen und Abiturienten, diese Feier und alles, was da noch kommen wird, gehört zu „ihrem Tag“ heute. Sie können nun bereits einen Rückblick auf die vergangenen Jahre werfen: Auf ihre schulischen Erfolge, auf das immer in Erinnerung bleibende gemeinsame Erleben mit Ihren Freundinnen und Freunden, aber auch sicher hier und da ein Rückblick auf Probleme und schwierige Situationen, die es zu überwinden galt und an denen Sie vielleicht auch gewachsen sind. Ihre Familien und Menschen, die Ihnen nahestehen, sind mit Recht stolz auf Sie. Eines ist ganz sicher, da bedarf es keiner Interpretation: Mit dem heutigen Tag haben Sie Ihr Ziel erreicht! Sie„reißen und reisen nun endlich ab“und erreichen eine neue Lebensstufe. Der Dichter Hermann Hesse beschrieb dies so:
„Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und uns hilft zu leben.“
Fangen Sie also an, liebe Abiturientinnen und Abiturienten !
Ich wünsche Ihnen , dass Sie die nächste „Stufe“ Ihres Lebens mit klaren Vorstellungen, entsprechenden fachlichen Kenntnissen und emotionaler Kraft betreten. Es wäre eine Wertschätzung für unsere Schule, wenn Sie dann irgendwann in Ihrem zukünftigen Leben einmal sagen könnten: „Ein wichtiger Grundstein in dieser oder jener Hinsicht ist damals „auf Kalkuhl“ gelegt worden.“

Ernst-Martin Heel