Begrüßung des Schulträgers Ernst-Martin Heel zur Abiturientenentlassungsfeier
Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
gerade hatte ich Ihre Abiturzeugnisse mit unterschrieben und mir dabei Notizen zum schulischen Abschneiden der Stufe gemacht, als mir Frau Klöcker per mail noch einmal ganz genau die Formulierung Ihres Abiturmottos durchgab: „Abivegas – mehr Glück als Verstand“. Ich war verwundert, als ich das las und musste erst einmal nachdenken.
In Ihrem Jahrgang mit 79 Schülerinnen und Schülern haben 36 eine 1 vor dem Komma und 6 hatten sogar eine 1,0 erreicht. Das hatte ich mir doch gerade erst notiert! Diese offensichtliche Leistungsstärke des Jahrgangs passt doch gar nicht zu dem von Ihnen selbst kreierten Motto? Litten unsere Abiturientinnen und Abiturienten an großem Selbstzweifel hinsichtlich der eigenen Kompetenz – „mehr Glück als Verstand“? Oder aber, diese Deutungsvariante fiel mir dann schließlich auch noch ein, versteckt sich hinter dem Motto vielleicht so etwas wie ein „kollektives fishing for compliments“ etwa nach der Maßgabe: „Wir wissen ja selbst, dass wir so gut sind, machen wir uns doch ruhig in der Öffentlichkeit mit der Wahl des Mottos etwas kleiner.“
Wie dem auch sei! Sie, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, sind aber, wie man es auch immer betrachten will, ein „Coronaabiturjahrgang“! Die Presse und die „öffentliche Meinung“ haben dieses Etikett geklebt, es haftet. Zugegebenermaßen erlebten Sie natürlich durch die Pandemie während der vergangenen eineinhalb Jahre eine Schulzeit , die es in dieser Form noch niemals so gegeben hat: Wechseluntericht, digital distanziert oder dann auch wieder persönlich präsent, stoffliche Defizite, soziale Einschränkungen in vielerlei Bereichen, Verzicht auf die Abiturrituale, die all die Schülergenerationen zuvor für selbstverständlich gehalten hatten. Diese Reihe ließe sich natürlich ohne Probleme fortsetzen.
Wir alle wissen also, was damit gemeint ist, wenn man von dem „Coronajahrgang“ im Abitur spricht. Aber kann man so weit gehen und von einer „verlorenen Generation Corona“ sprechen, wie das mancherorts geschieht? – Zunächst einmal ganz spontan „ nein“, meine ich, wenn ich Sie alle in jugendlicher Vitalität vor mir sitzen sehe. Eine gewisse Müdigkeit oder Lethargie, die durch die Monotonie eines in mancher Hinsicht reduzierten Alltags eingetreten ist, werden die meisten sehr schnell von sich abgeschüttelt haben und zu neuen Ufern aufbrechen.
Gleichzeitig gibt es sogar aber auch Dinge, die Sie während dieser pandemischen Zeit erfahren haben, die in positiver Weise persönlichkeitsprägend für Ihre weitere Zukunft seien könnten. Ich denke an die Erfahrung, dass das Grundrecht sich frei zu bewegen, das für unseren Kulturkreis eine Selbstverständlichkeit ist, eben nicht immer gegeben sein muss. Wie fühlt es sich überhaupt an, wenn Grundrechte plötzlich eingeschränkt werden? Im Politik- und Geschichtsbuch der Schule setzt man sich vordergründig rational mit dieser Thematik auseinander, kann aber kein Erlebnis damit verbinden. Sie alle haben eine persönliche Erfahrung in dieser Richtung gemacht. Eng damit verbunden ist die zentrale Frage, inwieweit man bereit ist, aus dem Gefühl sozialer Verantwortung auf eigene individuelle Wünsche und Freiräume zu verzichten.
Für wirklich brisant halte ich aber schließlich die Erfahrung, die Sie als junge Generation und wir alle ebenso machen mussten, dass plötzlich in unserer Welt etwas auftreten kann, das uns vollkommen überrascht und bedroht, weil wir in keinster Weise darauf vorbereitet sind. Der blinde Glaube, dass eben alles immer so weiter geht, wie wir es uns natürlich auch aus Bequemlichkeit wünschen, ist erschüttert. Ihre Generation, wird sich solchen Herausforderungen zukünftig wahrscheinlich in besonderer Form stellen müssen. So sieht es zumindest aus! Vielleicht wird Ihnen aber auch vor diesem Hintergrund deutlich, wie gesellschaftlich wichtig Ihre schulische Bildung und Ausbildung sind, denn nur damit sind Sie in der Lage auch schwierigen und komplexen Entwicklungen kompetent entgegenzutreten.
In den Medien spricht man darüber, dass unsere Schülerinnen und Schüler coronabedingt stoffliche Defizite hätten, die sie gegebenfalls in Ihrer zukünftigen Ausbildung benachteiligen könnten. Aber auch in diesem Punkt, so meine ich, kann von einer „verlorenen Coronageneration“ kaum die Rede sein. Zweifeln Sie bitte nicht an Ihren Fähigkeiten und trauen Sie sich alles zu, wonach Ihnen beruflich der Sinn steht und worauf Sie sich freuen. Wichtig ist es für eine „Sache“ zu brennen. Sie stehen vor einem Neubeginn!
Die Schulzeit liegt nun hinter Ihnen und Einzelheiten des Unterrichts werden im Laufe der Zeit mehr und mehr in Vergessenheit geraten, aber wenn Ihnen dann in späteren Jahren Ihre Erinnerung und ein inneres Gefühl sagen: „Das Lernen und Leben auf Kalkuhl war eine wichtige Basis für mich. Daran denke ich gerne zurück“, dann hätten wir als Schule und Internat einen wichtigen Auftrag erfüllt.
Abschließend möchte ich Ihnen und natürlich auch Ihren Eltern zu dem bestandenen Abitur ganz herzlich zu gratulieren. Ich wünsche jeder und jedem Einzelnen von Ihnen, die jetzt unsere Schule verlassen, einen glücklichen weiteren Lebensweg.
Rede der Stufensprecherin Linda Wald, des Stufensprechers Benjamin Leischner und der Jahrgangsstufenleiterin Annabel Klöcker
Liebe Familie Heel,
liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
liebe Lehrerinnen und Lehrer,
liebe Angehörige und Familien,
Dass wir beide, Benni und Linda, heute auf dieser Bühne stehen, ist kein Zufall. Schuld daran ist die 162. E-Mail von Frau Klöcker, in der stand:
„Im Augenblick möchte ich das Programm für die Abiturentlassfeier zusammenstellen und bei Euch nachfragen, ob auch jemand von Euch ein paar Worte an die Zuhörer richten will.“
Und wir haben natürlich mal wieder im falschen Moment ja gesagt. Nein, Spaß beiseite. Diese Rede jetzt halten zu dürfen, stellvertretend für unsere gesamte Jahrgangsstufe, ist für uns eine große Ehre. Wir würden nun sehr gerne eine kleine Zeitreise mit euch und Ihnen machen. Beginnend mit Tag 0 auf Kalkuhl bis heute, dem 2.853 Tag, der gleichzeitig auch unser letzter sein wird. Linda, was ist eine deiner ersten Erinnerungen, wenn du an deine Schulzeit denkst?
Besonders prägend waren natürlich die ersten Tage und Wochen als 5.-Klässler, in denen man die neuen Mitschüler kennen gelernt, erste Freundschaften geknüpft und das Schulgelände unsicher gemacht hat. Frühzeitig wurde auch die Badesaison eröffnet, indem der ein oder andere nähere Bekanntschaft mit dem Biotop geschlossen hat. Selbstverständlich durfte in dieser Zeit kein Kontakt zu den Parallelklassen aufgebaut werden. Wir, in der B, waren natürlich die Besten, während die A sich für die allerbeste Klasse hielt und die C-Klasse sich am coolsten fühlte. Zu diesem Zeitpunkt war uns aber noch nicht bewusst, dass wir alle mal später gemeinsam als Stufe hier stehen und unseren Abschluss feiern würden.
Für uns Schüler waren besonders in der Unter- und Mittelstufe die Fahrten und Exkursionen natürlich viel spannender als der Unterricht. Angefangen mit der kurzen Klassenfahrt nach Nettersheim folgten Chor- und Orchesterfahrten, mehrere Ruderwanderfahrten bis hin zur größten aller Fahrten, die Skifreizeit in der 7. Klasse ins Kleinwalsertal. Die zehn Tage im Schnee stärkten unsere Klassengemeinschaft, wobei uns gleichzeitig bewusst wurde, wie groß der Aufwand ist, um diese einzigartige Hütte mitten Wald am Laufen zu halten. Darauf folgte in naher Zukunft auch schon der erste Abschied, da die Klassenverbände nach einer letzten Fahrt am Ende der 9 aufgelöst wurden. So standen wir als neue Stufe mit ihnen, Frau Klöcke als Stufenleitung, vor einem riesigen Berg an Aufgaben.
Gemischt mit der Angst vor dem Unbekannten wurden auch schon erste Pläne für einen Abiball „par excellence“ geschmiedet, obwohl noch keine einzige Klausur geschrieben war. Begriffe wie „eigenverantwortliches Arbeiten“, „Entschuldigungsformular“ und „Vertiefungskurs“ gehörten ab jetzt zu unserem täglichen Sprachgebrauch. Und nun landete auch immer wieder ein Gruß von unserer frisch gebackenen Stufenleiterin Frau Klöcker in unserem Postfach, der uns an anstehende Vollversammlungen und Abgabefristen erinnerte. In sehr kurzer Zeit sind die einzelnen Klassen zu einer großen Stufe verschmolzen. Die erste Bestandsprobe unserer Stufe zeichnete sich im Kampf um die Unterrichtsfreistellung zu Gunsten der „Fridays for Future“ Demonstrationen ab. Unsere Stufe hielt hier fest zusammen, um für unsere Werte einzustehen und der Welt außerhalb von Kalkuhl zu zeigen, dass wir als jüngste Generation auch eine Meinung haben.
Nachdem wir die zentralen Prüfungen am Ende der Einführungsphase erfolgreich hinter uns gelassen hatten, ging es in der Qualifikationsphase aber erst so richtig los. Leistungskurse wurden gebildet, Tränen vergossen und das ein oder andere Buch gegen die Wand geschmettert. Dabei ließen wir aber nie unser gemeinsames Ziel, das Leben nach der Schule, aus den Augen. Dass diese Zeit bis dahin aber so schnell vergehen würde, hätten wohl viele nicht gedacht. Bei unserer Einschulung waren die großen Abiturienten unsere Helden gewesen, die jeder Prüfung getrotzt hatten. Jetzt sind wir diese Helden. Wer wollte nicht schon immer einmal ein Held sein?! Auf diesem Weg zum heutigen Tage musste sich aber besonders unsere Stufe auf der Zielgeraden einer weiteren, noch nie dagewesenen, Herausforderung stellen, einer Pandemie.
Theoretisches zu dieser Herausforderung wussten wir ja schon. Exponentielles Wachstum wurde in Mathe erläutert, globale Herausforderungen waren Teil des Erdkundeunterrichts, mRNA hatte man auch schon mal in Bio gehört und politische Entscheidungen in Krisenlagen waren im Geschichtslehrplan zu finden. All dies wurde von nun an zu unserer Realität. Auf dem Stundenplan standen jetzt Home-Schooling statt Präsenzunterricht und Kontaktbeschränkung statt entspannte Abende am Rhein. Dabei wurden wir weiter intensiv mit emotionalen und hoffnungsvollen E-Mails unserer Stufenleiterin versorgt. Ein kurzer Ausschnitt aus ihrer Mail vom 23. März 2020, also einer Woche nach der ersten Schulschließung:
„Aber wir können auch sagen: Wir haben eine Woche geschafft und damit nähern wir uns auf jeden Fall einem Zeitpunkt, an dem wieder Normalität einkehren wird.“
Auch wir alle dachten noch, dass uns nur eine kurze irritierende Phase bevorstehen würde, jedoch verflog diese Anfangsnaivität, nachdem immer mehr Lehrer lernten mit Zoom, Moodle und Co. erfolgreich umzugehen. Die Pandemie stellt für uns alle eine einzigartige Challenge dar. Die Bedeutung von Schule, Freunden und Familie wurde uns deutlicher denn je vor Augen geführt. Es klingt fast schon paradox, aber die größte Form des Zusammenhalts erlebten wir in der Zeit der gemeinsamen Stufenquarantäne, obwohl wir dort am weitesten voneinander entfernt waren. Denn nur durch diesen Zusammenhalt kann man solche Zeiten überstehen. Im Allgemeinen zeigt uns Corona auch heute noch, wie wichtig gegenseitige Unterstützung und Solidarität sind, und wir hoffen, dass dieses Bewusstsein auch nach der Hochphase der Pandemie erhalten bleibt.
Mit insgesamt 172 E-Mails schaffte es Frau Klöcker nicht nur einer Jahrgangsstufe zum Abitur zu verhelfen, sondern auch Motivation zum Durchhalten zu spenden. Besonders an den Tagen, an denen wir Schüler den Überblick über sämtliche Verordnungen, Hygieneregeln, Raumpläne, Klausurpläne und Teststrategien verloren hatten, war Sie, Frau Klöcker, unser Fels in der Brandung. Lassen wir doch nun mal die Verursacherin der E-Mail Flut zu Wort kommen:
Liebe Anwesende und ganz speziell natürlich mein lieber Abijahrgang 2021,
ich gebe zu, dass ich Euch mit einer Menge an Mails traktiert habe. Ich musste die Meute ja irgendwie zusammenhalten und eben auch diese vielen Regeln, ständigen Änderungen, Termine und was es da sonst noch so gab zum Thema Abitur unter Coronabedingungen an Euch kommunizieren.
Zu meiner Mail, die Ihr, Linda und Benni, gerade zuletzt zitiert habt, kann ich nur sagen, dass ich eben auch noch keine Pandemie erlebt habe und wohl etwas blauäugig und überoptimistisch war, was das Ende dieser Krise anbelangt.
Aber ich habe auch Dinge vorausgesehen und zitiere jetzt auch aus einer Mail von mir und zwar aus der vom 13.9.2020. An diesem Tag wurde klar, dass die gesamte Stufe in Quarantäne musste. Ich schrieb:
Genau jetzt müssen wir sagen: Das Virus kriegt uns nicht klein! Und ich freue mich auf den Tag Eurer Abientlassung, an dem wir auf die geschaffte Strecke trotz Corona zurückblicken werden!
Ich denke, ihr habt Euch wirklich nicht kleinkriegen lassen. Und nun ist diese Strecke tatsächlich geschafft. Ihr, liebe nun ehemaligen Schülerinnen und Schüler seit heute, habt das Abitur erreicht, mit vorzüglichen Ergebnissen. Das allein schon ist einfach toll!
Aber ich behaupte, Ihr habt noch etwas anderes erreicht bzw. entwickelt und zwar einen bestimmten Biss. Damit meine ich die Fähigkeit, all diesen belastenden Anforderungen die Stirn zu bieten, sich eben durchzubeißen.
Ihr habt bei Dauerbelüftung und in Winterausrüstung gekleidet Euer Abitur vorbereitet und später mit Maske fünfstündige Klausuren geschrieben.
Ihr musstet auf sehr Vieles verzichten, vor allem aber auf die Studienfahrt, die ja immer zu den Highlights der Oberstufe zählen.
Ihr habt die Inhalte meiner Mails beherzigt (meistens mehr als weniger), auch wenn es schon mal innerhalb von zwei Wochen gefühlte zehn Raumplanänderungen zu beachten galt. Eigentlich, finde ich, grenzt es an ein Wunder, dass sich trotzdem immer alle Kurse und die dazugehörige Lehrkraft irgendwo im Schulgebäude gefunden haben und Unterricht machen konnten.
Ihr habt mit zähestem Verhandlungsgeschick gegenüber der Schulleitung Eure zwei Mottotage erkämpft.
Und Ihr habt auch, diesem ganzen Corona-Kram zum Trotz, einen umwerfenden Optimismus an den Tag gelegt. Denn an einer Sache habt ihr einfach unbeirrt festgehalten: an der Abiballplanung. Und so können wir heute Abend tatsächlich ein richtig schönes Fest zu Eurem Abitur feiern. Darauf freue ich mich sehr!
Diesen Biss, dieses Durchhaltevermögen, habt Ihr Euch angeeignet. Und ihr habt damit gezeigt, dass solch eine Krise auch große Stärken wecken kann, eine Stärke, mit der ihr noch viel erreichen könnt!
Ich bin sehr stolz auf Euch!
An dieser Stelle möchten wir drei uns im Namen der gesamten Jahrgangsstufe bei allen Lehrerinnen und Lehrern bedanken, besonders bei Herrn Tenge, der auch die exotischste Schullaufbahn im Blick hatte und Frau Klöcker in allen Fragen zu jeder Zeit unterstützt hat. Wir wollen uns auch bedanken bei Frau Striethörster und allen anderen Pädagoginnen und Pädagogen für ihren unermüdlichen Einsatz. Nicht zu vergessen bei unserer Danksagung sind Herr Köstlmeier, die Eltern des gesunden Frühstücks und die liebevollen Lädchenfrauen. Sie und Ihr alle habt uns den ganzen Weg über begleitet, geprägt und uns eine wundervolle Schulzeit ermöglicht. Unser Dank gilt auch unseren Eltern, die uns unterstützt und an uns geglaubt haben, auch wenn wir gerade mal wieder am Verzweifeln waren.
Bei Tim Benzko sind es 148 Mails, die er noch checken muss, bevor er die Welt retten kann. Mit unseren 172 von Frau Klöcker müssten wir ja nun mehr als bereit dafür sein, den notwendigen Biss an den Tag zu legen, den wir in den letzten Monaten gezeigt haben.
Worauf warten wir noch?!
Bilder von der Feier im Brückenforum