Der Schulanfang – La rentrée

La Fête de la rentrée des classes

Nachdem der offizielle Schulbeginn eigentlich schon am 1. Oktober war, fand die „Fête de la rentrée des classes“ an der Schule Notre Dame de la Médaille Miraculeuse erst am 7. Oktober statt.
An diesem Tag versammelten sich um 8:00 Uhr die LehrerInnen und SchülerInnen, wenn auch noch längst nicht alle kommen konnten, auf dem Schulhof. Madame Étienne, die „directrice pédagogique“ der Schule und die Schulgründerin Madame Leconte hielten eine Rede, in welcher sie die Kinder an Verhaltensregeln erinnerten und daran appellierten, sich in der Schule anzustrengen.

So forderten sie die Kinder z.B. dazu auf, auch wenn sie keine Bücher haben, sich diese nach der Schule bei Mitschülern auszuleihen und fleißig zu üben. Denn nur durch Bildung, so erklärten sie, erhielten die Kinder die Chance ihre Lage zu verbessern. Dazu gehört auch, dass französisch in der Schule Pflicht ist. Viele der Kinder wachsen, obwohl offiziell französisch und kreolisch die Landessprachen sind, nur im kreolisch sprechenden Umfeld auf und so ist die Schule die einzige Möglichkeit, um auch die andere Sprache zu lernen. Zudem müssen die Kinder pünktlich zum Unterricht erscheinen und wer doch zu spät ist, muss sich im Direktorium melden.

Nachdem die Reden beendet waren, wurde, während die schuleigene „fanfare“ spielte, die haitianische Fahne gehisst. Wir konnten unseren Augen zuerst nicht trauen: alle hoben währenddessen mit Blick auf die Fahne den rechten Arm hoch. Was für uns erschreckend nach dem Hitlergruß aussah, hat hier in Haiti nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun, sondern ist das ganz normale Zeichen, wenn die Fahne gehisst wird.
Nachdem die Fahne oben war, trat noch eine Schülerin nach vorne. Sie stimmte ein Gebet an und alle anderen stimmten mit ein.

Danach war die Feier beendet und alle gingen, begleitet von der Musik des Orchesters, in ihre Klassenräume. Doch was war das? Als die Schultore wieder geöffnet wurden, strömten plötzlich noch unendlich viele SchülerInnen hinein – ungefähr 1/3 so viele, wie vorher schon pünktlich anwesend waren! Diese mussten sich, wie vorher den anderen ja schon mal ins Gedächtnis gerufen wurde, im Direktorium melden und dann konnte der Unterricht richtig beginnen.

… Pourquoi est-ce qu’il y a tellement d’enfants qui manquent?

Am Dienstag, den 1. Oktober, war der offizielle Schulbeginn nach den dreimonatigen Sommerferien. Doch die Schule Notre Dame de la Médaille Miraculeuse sah noch so gut wie ausgestorben aus. Von den 500 SchülerInnen konnten nur etwa 30 am ersten Schultag erscheinen. Manche Klassenräume waren noch völlig leer, in anderen saßen 3 oder auch mal 10 Kinder. Die Kinder des Waisenheims konnten erst am Mittwoch in die Schule gehen und auch den Rest der Woche konnten nur wenige SchülerInnen und LehrerInnen zum Unterricht kommen.

Dieses Bild war aber nicht nur hier an der Schule so vorzufinden. Auch die meisten öffentlichen Schulen blieben noch komplett leer und der Schulbetrieb wurde erst am Montag, den 7. Oktober, richtig aufgenommen.

Um den Unterricht besuchen zu können, brauchen die Kinder ihre Schuluniformen, Bücher und auch Schuhe, doch viele Eltern können es sich einfach nicht leisten diese Dinge zu kaufen. So müssen die meisten SchülerInnen die erste Schulwoche noch zu Hause verbringen und können erst am darauf folgenden Montag erscheinen. Manche haben auch monatelang nicht die Möglichkeit zu erscheinen und verpassen dadurch manchmal ein ganzes Trimester.

Wahrscheinlich fragt ihr euch, wie auch wir uns das gefragt haben, warum das Geld nicht da ist, um die Schulmaterialien im Vorhinein zu besorgen, sodass die Kinder pünktlich zur Schule gehen könnten, viele dann aber eine Woche später erscheinen können: Die Eltern bekommen ihr Gehalt meist nicht pünktlich zum Monatsanfang, sodass sie darauf erst warten müssen und auch den Rest des Jahres ist kein Geld übrig, von welchem schon Bücher besorgt werden könnten. Allerdings werden sämtliche Schulmaterialien zum Schulbeginn noch teurer, als sie eh schon sind, und die Situation wird dadurch noch mehr erschwert.

Besonders in der ersten Woche des neuen Schuljahres gab es viele Demonstrationen in den Städten. Die Menschen protestierten dagegen, dass viel zu viele es sich nicht leisten können zur Schule zu gehen und fordern, dass die Regierung das Schulsystem ändert. Zwar kosten die staatlichen Schulen seit dem letzten Jahr kein monatliches Schulgeld mehr, trotzdem ist es für viele Menschen unmöglich ihren Kindern eine gute Schulbildung zu ermöglichen, da Schuluniformen und -Materialien trotzdem selber bezahlt werden müssen.

Die 1. Schulwoche – Rückblick, Einblicke in das Schulprojekt

Und wie sieht der Schulanfang hier in der École Notre Dame de la Medaille Miraculeuse aus? Der Anblick einer ausgestorbenen Schule zog sich die komplette erste Schulwoche hin. Auch wenn die Schülerzahl von Tag zu Tag gering stieg, so wirkte doch erst der 7.Oktober, also eine Woche nach dem ersten Schultag, wie ein richtiger Schulbeginn.

Denn nur wenige der Familien konnten, ihre Kindern rechtzeitig zum Schulanfang ausrüsten. Auch wenn dies ein generelles Problem in Haiti ist, so betrifft es gerade die Schüler dieser Schule hier. Ein Teil der Kinder kommen aus dem Waisenheim, doch der Großteil der Schüler kommt aus den „Bidon-Ville“ , den Slums von Cap Haitien. Die Menschen, die dort wohnen, leben wirklich am Existenzminimum. Somit ist es immer wieder eine unglaubliche Herausforderung für diese Familien, das Geld für die Schuluniformen und Bücher aufzutreiben.

Am 7. Oktober an der „fête de la rentrée des classes“ waren auf jeden Fall schon sehr viel mehr Schüler anwesend, als die Woche zuvor. Dennoch sind die Klassen längst nicht alle vollständig und das Problem mit den Schulbüchern bleibt. In vielen Klassen, haben gerade einmal fünf Kinder ein Buch. Die meisten Schüler besitzen gar keins und selbst die, die welche haben, sind nicht mit allen Büchern, vollständig ausgestattet. So ist es auch kein Wunder, dass die meisten Schüler das Schulgeld nicht bezahlen können. Das Schulgeld an der Notre Dame de la Medaille Miraculeuse ist ein geringer Betrag (vor allem im Vergleich zu vielen anderen Schulen), der jedoch seit ein paar Jahren notwenig geworden ist. Denn die Schülerzahl hat immer weiter zugenommen und die laufenden Kosten (wie z.B. für Toilettenpapier, Papier, Druckerpatronen, Kreide etc.) steigen immer weiter und könnten sonst nicht gedeckt werden.

Doch oft können nur drei bis fünf Schüler einer Klasse, meist auch nur einen kleinen Teil dieses Betrags zahlen. Und wer das Geld nicht zahlen kann, wird natürlich nicht einfach nach Hause geschickt. Dennoch, die Schule finanziert sich, bis auf diesen Schülerbeitrag, alleine durch Spendeneinnahmen.

Dies gilt auch für das Essen der Schulkantine. Bislang wurde es von einer Hilfsorganisation monatlich gespendet. Damit wurde bisher gewährleistet, dass 500 Kinder und Jugendliche jeden Tag Reis mit Bohnen zu essen bekamen. Jeden Tag dasselbe Essen. Aber es war eine warme Mahlzeit, die zwar langfristig nicht ausgewogen ist, doch das Überleben der Kinder sicherte. Denn für viele Kinder der Bidon-Villes war es die einzige am Tag! Am ersten offiziellen Schultag erhielt die Communauté jedoch ein Schreiben: Die Hilfsorganisation stellt die Essenspenden ab sofort ein. Der Grund: die Organisation zieht in einen anderen Bezirk Haitis. BAMM!

Diese Nachricht hat(te) den Effekt einer Ohrfeige. Man braucht nicht viel zu sagen, um zu verstehen, was die Konsequenzen sind. Jedenfalls ist eine davon, dass viele der Schüler aus den Bidon-Villes den langen Schulweg, den sie oft für mehrere Stunden zu Fuß zurück legen, nicht mehr auf sich nehmen werden. Es fällt ohnehin schon vielen schwer genug sich in der Schule richtig zu konzentrieren. Ohne Essen, ohne richtige Rückzugsmöglichkeit und wahrscheinlich oft ohne ausreichend Schlaf.

Die Communauté versucht natürlich mit allen Mitteln eine andere Möglichkeit zu finden, warmes Essen für alle Schüler zu organisieren. Außerdem wird gerade an einem neuen Projekt für eine Übermittagsbetreuung gearbeitet. In dieser sollten die Schüler die Möglichkeit bekommen, Hausaufgaben zu machen und versäumten Unterricht auf zu arbeiten und gefördert zu werden. Dies wäre eine super Chance, vor allem für die Kinder der Bidon-Ville. Denn bis jetzt müssen sich die Schüler selber organisieren, Bücher von anderen aus zu leihen, wenn sie selber keine haben. Außerdem ist das Arbeiten zu Hause unmöglich. Es fehlt der Platz, die Ruhe und die nötige Unterstützung. Denn der komplette Unterricht findet auf französisch statt und in den meisten Familien wird nur kreolisch gesprochen. Doch gerade auch deswegen wäre Unterstützung außerhalb der Schule notwendig. Damit könnte man den Kindern helfen, ihren Schwierigkeiten mit dem Unterricht auf einer Fremdsprache entgegen zu wirken.